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24. Juli 2019

Haben Sie eine Tüte?

Ella liebt Tüten.
Hundehaufen werden in elegante lila Tüten verpackt, sie trägt immer genug davon bei sich. Drei um die Leine gebunden, noch weitere in den Manteltaschen. Aufmerksam und korrekt folgt sie den Bewegungen der Hündin. So bald sie sich hinsetzt, wartet Ella geduldig und packt das Häufchen dann geschickt ein. Die Tüte wird mit Schwung entsorgt. Du kannst einige davon in den Bäumen und Büschen der Katzberger Straße wiederfinden. In Cham gibt es auch die Katzbacher Straße. Die Bürgermeister Vogelstraße ist dazwischen. Ella schüttelt den Kopf über diese plumpe Art.

Ella hängt auch Tüten mit Vogelfutter auf. Eifrig wie ein Engel am Heiligabend dekoriert sie den Busch. Das Futter ist schmackhaft. Edles, weißes Fett. Nicht glänzend und glitschig, sondern vornehm, fest und nährend. Sie denkt an den Bürgermeister Vogel.

Samen und Nüsse wären sicherlich auch nicht schlecht, aber nicht am Donnerstag. Donnerstag ist kein Tag für frivole Leckerbissen, Donnerstag ist ein Tag zum Töten. Sie kauft die Vogelnahrung im Tierfachgeschäft ein, nach dem Teetrinken mit Lydia.
Das Teehaus heißt Die Tasse im Schrank. Dieser Name, unmöglich. Aber es liegt ganz praktisch, am Anfang der verkehrsberuhigten Zone. Dort kann man sich ans Fenster setzen und Leute gucken. Lydia ist so eine Person.

Wenn sie keinen Termin mit Lydia hat, zieht sie sich natürlich auch kein Kleid sondern die Tarnhose an, und begibt sich mit der Hündin durch den Stadtwald, weit weg von der Zivilisation. Dort wird sie eine andere Person.
In der Wildnis trägt sie die Haare offen, unhörbar schleicht sie herum. Sie spürt, wie der Tötungsdrang durch ihre Adern strömt. Sie genießt den Rausch, fletscht die Zähnen und hält Ausschau nach einem Opfer. Lydia weiß nichts davon.

Manchmal findest du Knochen oder die Überreste eines Vogels. Das Verbrechen ist perfekt, die Spuren sind nur schwer zu finden. Du siehst die leeren Netze, die sich sanft im Wind bewegen, wie die zerfetzten Fahnen eines verlorenen Volkes, nachdem die Eroberer abgezogen sind. Sie sind lila, gelb oder grün. Der Regen strömt gelassen dahin. 165 km Fluss, weißer Regen, schwarzer Regen.
Großer Regen, kleiner Regen. Spuck die Boote aus. Fließe! Koche! Brodele! Wild!

Der Gerd sagt immer, die Meisen brauchen keine Fettnahrung, sie sollen jagen. Hundertprozentig verlernten sie so, wie sie Würmer fangen müssen. Sie wüssten gar nicht mehr, wie man sich als normale Meise auf die Lauer setzt am Wurmloch.
Schwarze Löcher, spottet Ella, Wurmlöcher, lass mich in Ruhe mit deiner Quantenphysik, Gerd! Wenn die Erde bis auf die Größe eines Tennisballs zusammengequetscht würde, wäre sie auch ein schwarzes Loch, und nichts käme mehr rein und raus, also nichts besonderes.
Eine Tierfreundin wartet nicht auf ein Wunder aus dem Schwarzen Loch. Sie füttert die Vögel im Winter.
“Nichts zu Vögeln”, grummelt Gerd.

Ella liebt selbstgedrehte Tüten Marihuana, die niedlichen Pflanzen züchtet sie auf der Fensterbank. Drei Stück sind für den Eigengebrauch erlaubt, hat sie irgendwo gelesen. Drei pro Fensterbank, findet sie. Sie sitzt abends auf der Holzbank unterm Haselstrauch, wenn es windstill ist, die Sonne tief steht und ein warmes Licht über den Dächern von Cham liegt. Wenn die Amsel träge über den Rasen hüpft und sich kleine Fliegen in den Rotwein fallen lassen. Der Gerd hat eine Pollenallergie. Haselnuss, wie dumm. Er sitzt im Haus, hat die Lampen schon an.

Ella liebt Tütensuppe. Vor allem Kerbel. Das beige Pulver, geschickt verpackt. Die trockenen Gemüsebrocken, kein Waschen, Putzen, Schneiden oder Hacken diesmal. Der Gerd, der im Arbeitszimmer gebogen über seinen astronomischen Berechnungen saß, kommt rein, schlufft zur Kaffeemaschine. Er steht absolut nutzlos da, bis der Kaffee mit einem nervigen Geräusch rausgetröpfelt kommt. Kann man das noch ernst nehmen? Sein vierter heute. Und jedes Mal lässt er den alten Pad in der Maschine liegen. Er hat schon die ganze Woche die gleichen Socken an.
Welche, die er geschenkt bekommen hat. Hellblau.

Es ist ein früher Märzmorgen. Keiner hat Geburtstag heute, eher im Gegenteil. Ella nimmt das scharfe Messer aus dem Block, ein Schauder läuft ihr über den Rücken, so gefährlich fühlt sie sich an diesem Donnerstag. Sie nimmt es mit in den Garten. Blumen schneiden.

Ella liebt wiederverschließbare Tiefkühltüten. Die sind gut geeignet, um die vielen Einzelteile einzupacken, sauber und korrekt. Sie reiht auf ihrem Küchenschrank die verschiedenen Tüten auf. Man kann gut sehen was drin ist, aber auch eine feine Schrift verrät, um was es sich handelt. Adrett lehnen sie sich gegeneinander. Gummis, steht da, und Zahnstocher. Trockenpflaumen. Lorbeerblätter. Vanille. Tintenpatronen nur für besondere Geburtstagskarten. Königsblau.
Keiner hat Geburtstag heute.

Gerd rümpft die Nase, wenn Ella das kochende Wasser über das Suppenpulver gießt. “Das riecht nach Hundefutter”, sag er. “Alles in diesem Haus riecht nach Hundefutter.” Ella kennt das Parfum von Lydia, das anders riecht, nach Vanille. Seit einigen Wochen riecht der Gerd auch so, eine verräterische kleine Wolke schwebt manchmal um ihn herum. Ella schüttelt den Kopf und geht über die Terrasse in den Garten, das Kissen mit dem Schriftzug Killing Queen unterm Arm. Da hätte er wirklich aufpassen müssen.

Sie hört, wie er die Haustür zuschlägt und kurz danach das Auto startet. Es fährt mit seinen hellblauen Stinkesocken und quietschenden Reifen weg. Ella lächelt und dreht sich eine Tüte Gras.

Auch wenn es noch kein Abend ist, sondern genau Mittag. Eine Kirchglocke schlägt 12 an diesem Donnerstag in Cham. Die Dächer glänzen vorsichtig unter der zögerlichen Märzsonne.

Haselnuss ist schon durch, denkt Ella. Es hat nichts mit der Allergie zu tun.
Das scharfe Messer liegt auf der Bank bereit, sie hat es heute morgen früh schon der unschuldigen Amsel gezeigt. Jetzt legt sie das Kissen darauf, es soll sich keiner erschrecken.

Es hat was mit der Vanille zu tun. Und mit hellblau. Gleich ist er wieder da. Er weiß nicht, dass Lydia eine dramatische SMS bekommen hat und schon auf dem Weg ist. Sie werden sich auf der Höhe der Galgenbergstraße kreuzen.

Sie werden plötzlich ihre Autos erkennen. Sie werden abrupt anhalten auf dem Galgenberg, Lydia wird rückwärts fahren, sie ist die bessere Autofahrerin, bis sie Gerd erreicht, sie werden beide aussteigen und Unheil wittern. Sie werden nicht wissen, wer das Opfer sein wird, hastig werden sie sich umarmen und schnell auf den Mund küssen, voller Aufregung und Spannung, als hätten sie es sich im Sofa mit Käsewürfel und Schokolade bequem gemacht und warteten, bis der schaurige Film anfängt. Sein Mund wird wieder rote Spuren ihres Lippenstifts zeigen, er wird schamlos diese Zeichen der Untreue tragen. Er wird noch einen Schritt weiter gehen, das Auto stehen lassen und in das fremde Auto einsteigen, das nach Vanille riecht und frisch gestaubsaugt ist, schließlich ist es Donnerstag. Das Auto mit den fremden Gerüchen wird seine Phantasie anregen, genau wie ihre Hand mit den Armreifen und Ringen, wie sie schaltet, leise klimpernd. Er wird seine Forscherhand auf ihren Oberschenkel legen während sie fährt, sie wird leise aufstöhnen und ihm das Gefühl vermitteln, dass noch viel wildes Gebiet erforscht werden kann.

Ella nimmt einen tiefen Zug und nimmt das scharfe Messer in die Hand, sie schaut es an. Sie fühlt an der Spitze. Von wegen, Blumen schneiden. Es wächst noch nichts. Und es ist ein Fleischmesser. Die Hündin kriecht unter die Bank und winselt leise. Die feinen Rauchschwaden ziehen in den blauen Frühlingshimmel. Etwas zu töten und zu zerkleinern ist die Schwierigkeit, denkt sie. Man braucht richtig Kraft und es geht nie ohne Widerstand. Aber das Verpacken, das ist schön. Sauber. 3-Liter-Gefriertüten, mit einem weißen Feld für eine genaue Beschreibung in geschwungener Schrift. Roter Edding. Unauswischbar.